Karl Beine

Aus Familienwortschatz
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Krankentötung - Sehen, Hören, Schweigen?

Rezension des Buchs von K. H. Beine


Karl Beine, ist ein deutscher Psychiater, der 1998 seine Untersuchungen der Einstellung zur aktiven Sterbehilfe bei ärztlichem und Pflegepersonal im Lambertus-Verlag, Freiburg, veröffentlicht hat. Anlaß waren Fälle von Krankentötungen in der Gegenwart, aber eben auch das Kapitel deutscher Vergangenheit im Nazireich - die Krankenmorde unter dem Deckmantel des Wortes Gnadentod oder Euthanasie. Die Bethler Anstalten lagen in der Nachbarschaft seines Arbeitsplatzes. Auch sie taten sich schwer in der Aufarbeitung dieser Vergangenheit. Für Ärzte und Pflegende beides eine Herausforderung ihr Gewissen zu prüfen und Überlegungen immer neu anzustellen. Auch vor dem Hintergrund der Kostendebatte und der Situation in der Intensivmedizin eine wichtige Aufgabe für uns alle.

Beines sehr lesbar überarbeitete Habilitations-Schrift hat drei Teile:

  • Die Darstellung von 28 Fallgeschichten aus der Zeit zwischen 1953 und 1993 anhand unterschiedlicher Dokumente.
  • Eine Analyse der Fallgeschichten auf Übereinstimmung von Umfeld, Motivation der Täter und Opfer.
  • Eine große Umfrage bei ärztlichem und Pflegepersonal zu ihrer Einstellung zur aktiven Sterbehilfe.

Die drei Teile sind im Umfang und der methodischen Anlage ganz unterschiedlich. Die Methoden, das sei hier nur kurz angemerkt, entsprechen dem wissenschaftlichen Stand im Umgang mit historischen Quellen und der statistischen Auswertung eines Fragebogenprojektes.

28 Fallgeschichten

Die 28 Fallgeschichten stammen zum größten Teil aus dem deutschsprachigen Europa. „Täterinnen“ sind Ärztinnen und Pflegekräfte. Es wurden nur rechtskräftig zu einer Verurteilung gebrachte Fälle analysiert. Einige Fälle aus der jüngeren Vergangenheit sind Lesern evtl. als Schlagzeile in Erinnerung: Lainz, Michaela R. in Wuppertal oder der Krankenpfleger in Gütersloh Wolfgang L. In allen Fällen wurden die Akten so dargestellt, wie sie in einem Gerichtsverfahren angelegt werden. Der Lebenslauf der/des Täterin, Situation am Arbeitsplatz und die Ermittlungen, die einzelnen Tötungen (sehr oft handelt es sich ja um Serien), das psychiatrisch-psychologische Gutachten und der Gang der Gerichtsverhandlung.

Nach einigen Seiten des Lesens wird es für die Leserinnen sicher anstrengend immer wieder mit dieser Vielzahl Aspekte konfrontiert zu werden. Aber das ist der Preis eines differnzierten Herangehens, das die Grundlage für den dann viel kürzeren zweiten Teil bilden kann.

220 Seiten Kriminalakten dürfen allerdings nicht unseren Blick für all die Situationen trüben, in denen es zwar aggressiv, ja gewalttätig oder aus pflegerischer Sicht unverantwortlich vernachlässigend zugeht und die nicht vor Gericht kommen. Genau das, finde ich, erreichen diese Schilderungen. Sie sind voll Details aus Krankenhaus- und Heimalltag, so dass professionelle Helferinnen immer wieder an die eigene Arbeitswelt erinnert werden.

Der Analyseteil

Im zweiten Teil werden auf nur 36 Seiten alle Vorurteile über die Bestie in der Krankenschwester, dem verrohten Landarzt oder die Mißstände der anonymisierten Fließbandpflege widerlegt. Beine hat die Fallgeschichten nach Gemeinsamkeiten der Opfer, der Täterinnen und Täter und ihrer Arbeitsfelder (der letzten Station in deren Leben) durchleuchtet.

Dabei bedient er sich auch seiner tiefenpsychologischen Ausbildung bei vielen Fragestellungen. Und er muß sagen, dass sich kaum eine Vorhersage treffen lässt, bei wem individuelle oder gesellschaftliche Vorstellungen über den Unwert eines menschlichen Lebens zu Kurzschlußhandlung oder zu geplanten Taten führen werden.

Vielleicht widerspricht dieser Befund allerdings auch einer Grundauffassung des Autors und manches Lesenden über die Verrohung der Gesellschaft, die ein Abschieben von Leid und Sterben in Sondereinrichtungen hervorgebracht hat und hervorbringt.

Es ist erschreckend zu lesen, wie weit die Öffentlichkeit diese Bewertung der Täterinnen und Täter von sterbenskranken oder schwer behinderten Opfern, also deren Herbsetzung, teilt. Manches relativ milde Urteil läßt sich auch so verstehen.

Diese beiden Teile könnte als eigenständiges Buch gelesen werden. Aber es geht nicht um Sensation oder der Kriminalgeschichte, er diente der Fragebogen-Umfrage als theoretischer Hintergrund. So wird dann im dritten Teil die Fragebogenaktion so dargestellt, daß keine Unklarheiten über ihre Aussagen möglich sein sollten. Es mußte der Sprachgebrauch und die zugrundeliegenden Motive möglichst umfassend dargelegt werden, damit eine breit angelegte Umfrage nicht in Banalitäten steckenbleibt. Eine Sonntagsfrage für Pflegende sollte vermieden werden.

Die Fragebogenaktion

Dieser dritte Teil birgt die eigentlichen Sensationen an Unerwartetem.

Zum Aufbau der Untersuchung: Im Rahmen des Forschungsprojektes an der Universität Witten/Herdecke wurde die Einstellung von Krankenpflege-, Altenpflegepersonal und von Ärztinnen zur aktiven Sterbehilfe im April 1994 anhand eines Fragebogens untersucht. Die Versendung erfolgte über die Anschriften der LeserInnen großer Fachzeitschriften. Der Rücklauf der Antworten war so hoch, daß das Ergebnis für diese drei Berufsgruppen und natürlich nur für diese Fragestellungen als repräsentativ betrachtet werden muß (fast 8000 Personen). Es beteiligten sich jeweils über 3 000 Krankenschwestern/Krankenpfleger und AltenpflegerInnen und über 1 700 Ärztinnen aus Praxis und Kliniken.

Der verwendete Fragebogen bestand aus zwei Seiten mit insgesamt 22 Fragen.Es wurden soziodemographische Angaben der einzelnen Untersuchungsteilnehmer und Angaben zum Tätigkeitsfeld und zur Einstellung erbeten.

Die Kernfragen hatten folgenden Wortlaut:

  • Unter welchen Umständen ist es nach ihrer Meinung gerechtfertigt, menschliches Leiden aktiv zu beenden (6 Antwortmöglichkeiten wurden vorgegeben und Raum für die eigene Stellungnahme angeboten)
  • Soll die aktive Sterbehilfe legalisiert werden?
  • Würden Sie selbst aktive Sterbehilfe praktizieren, wenn sie legal wäre?

Die Auswertung der Fragebogenaktion

Die Auswertung erfolgte sehr gründlich und ist im Anhang dokumentiert. Die Ergebnisse sagen natürlich gar nichts über das tatsächliche Vorhandensein von Totschlag oder Mord in Kliniken oder Altenheimen aus. Sondern sie informieren über die ethischen Entscheidungen der dort Tätigen. Erstmals wurde das in diesem Umfang in Deutschland untersucht.

Manche Forschungsergebnisse aus Übersee basieren methodisch auf sehr zweifelhaften Voraussetzungen. Das Buch geht kurz darauf ein. Es ist hier auf eine Lücke hinzuweisen, die natürlich nicht K. Beine angelastet werden kann, sondern zeigt, wie wenig wir über Pflegende in der BRD wissen: Die familiäre Pflege kommt bei dieser Untersuchung nur soweit ins Blickfeld als Profis daran beteiligt sind. Über die Belastung der pflegenden Angehörigen wollte und konnte diese Studie nichts sagen! Und damit auch nichts über deren Moralvorstellungen.

Dass die nicht ausgebildeten Pflegekräfte in den Altenheimen 50 Prozent der Arbeit verrichten, aber hier nicht erfaßt werden konnten, ist allerdings ein Mangel der Untersuchung, der mit der Verteilung der Fragebögen über die Fachzeitschriften erklärbar ist und doch Fragen offen lassen muß.

Wie lauten die Antworten? Genau getrennt nach Berufsgruppen, Lebens- und Berufsalter, Familienstand und Konfession, Wohnort und Beruflicher Situation werden sie dargelegt. Hier nur eine knappe Darstellung der Tendenzen:

Ein Mehr an beruflicher Qualifikation scheint mit der Ablehnung einer Legalisierung einherzugehen.

Mit zunehmendem Alter steigt die ablehnende Haltung gegenüber der Sterbehilfe auch an der eigenen Person deutlich an. Von den über 60jährigen wird sie schließlich mehrheitlich abgelehnt. Bei den unter 30jährigen stimmen bis zu 60 Prozent der evtl. eigenen Tötung zu.

Die Berufszufriedenheit beeinflußt das Votum auch an dieser Stelle erheblich: Mit ihrer derzeitigen beruflichen Situation Zufriedene lehnen es wesentlich häufiger ab, bei sich selbst aktive Sterbehilfe anwenden zu lassen, als die im Beruf Unzufriedenen!

Schlusskapitel, Ausstattung

Die letzten 20 Seiten dieses Abschnitts versuchen eine Bewertung dieser Ergebnisse vorzutragen. Sie ist differenziert und kann nicht als Argumentation pro oder kontra einer bestimmten gesetzlichen Regelung aufgrund der Umfrageergebnisse verstanden werden.

Der Verlag hat dem Autor im Anhang die Möglichkeit gegeben, die Umfrage gut zu dokumentieren, Fremdwörter in einem Glossar zu erklären und die eingearbeiteten umfangreichen Literaturquellen für weitere Arbeiten an dem Thema offen zu legen.


Literatur- und Personenangaben

  • Karl-H. Beine (1998): Sehen, Hören, Schweigen - Krankentötungen und aktive Sterbehilfe. Lambertus-Verlag, Freiburg, 348 Seiten. ISBN 3-7841-1049-5
  • Ralf Scherer, Ulrich Eibach, Karl Beine, Henk Jochemsen; Klaus Hampel (Herausgeber): Menschenwürde an den Grenzen des Lebens: Sterbehilfe und Sterbebeistand im Widerstreit. Dialogverlag, 2007. 72 Seiten. ISBN 3-9379-6160-7

Dr. Karl Beine war beim Erscheinen des ersten Buchs leitender Arzt der Westfälischen Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie, Psychosomatik und Neurologie in Gütersloh. Seit April 1997 lehrt er Psychiatrie an der Privaten Universität Witten. Er ist Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am St. Marien Hospital in Hamm.

Aufdecken und Verhindern

Ein neuer Titel erschien 2010:

  • Karl Beine: „Krankentötungen in Kliniken und Heimen – Aufdecken und Verhindern“. Lambertus-Verlag, Freiburg, 2010. 397 Seiten. ISBN 3784119735

Beine achtet auf Frühwarnzeichen bei seiner Analyse von Serientaten und hat daraus 13 Prüffragen entwickelt. „Wenn sich ein Team diese Fragen in Ruhe regelmäßig stellt, können vielleicht in Zukunft einige dieser dramatischen Taten verhindert werden“, glaubt Beine.